Reimer Gronemeyer
Demenzadvokat und Autor
Biografie
Prof. Dr. theol. Dr. rer. soc. Reimer Gronemeyer gilt als Autor, Herausgeber und Mitgründer der Aktion Demenz als eine der respektiertesten Stimmen für einen anderen Umgang mit Demenz. Er ist seit 1975 Professor für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, hat mehrere Bücher zum Thema Demenz verfasst und ist Herausgeber der Zeitschrift DEMENZ - Das Magazin.
„Ich bin in das Thema Demenz durch Kolleginnen und Kollegen hineingezogen worden: Ein großer Workshop, von der Robert Bosch Stiftung initiiert, hat mich mit dem Thema konfrontiert. Und ich bin darüber froh. Das Thema Demenz ist ein Schlüsselthema: Wenn wir wissen wollen, wie unsere Gesellschaft tickt, dann müssen wir auf die Menschen mit Demenz, auf ihre Lebenslage und die ihrer Angehörigen schauen. Wie leben in einer alternden Gesellschaft, in denen die Alten aber zunehmend unter Einsamkeit leiden und darunter, dass sie eigentlich keine Rolle spielen? Es geht ihnen finanziell gar nicht schlecht, aber was man mit dem Alter anfangen soll, das ist eine schwierige Frage. Die alten Lebenszusammenhänge (Familien, Vereine, Kirchengemeinden, Nachbarschaften, Gewerkschaften, Parteien) sind immer weniger bergende Orte.
In der kalten Zugluft einer Singlegesellschaft stehen die Menschen mit Demenz irritiert und verlassen da. Sie werden mehr und eine Heilung der Demenz ist nicht in Sicht. Die Menschen mit Demenz stellen uns eine Diagnose: "Was für eine Gesellschaft habt ihr da eingerichtet, in der wir, die wir nicht mehr schnell sind und vieles nicht mehr können, keinen Platz haben? Insofern ist Demenz das Schlüsselthema: Wie gehen wir mit den Schwachen um? Welche Zukunft hat die Demenz in einer von Krisen geschüttelten Gesellschaft? Müssen wir uns Sorgen machen oder genügt es, viel von sorgender Gemeinschaft zu reden? Wir werden die Probleme der Menschen mit Demenz nicht mit Geld allein lösen können. Es gibt davon nicht genug und es hilft nicht gegen Einsamkeit und mangelnde Wärme. Die Menschen mit Demenz stellen uns die richtigen Fragen….
Vita
• Geboren 1939 in Hamburg.
• Studium der Theologie in Hamburg, Heidelberg und Edinburgh
• 1971 Promotion mit einem Thema zu den Paulusbriefen
• Pfarrer in Hamburg
• Studium der Soziologie
• 1973 Promotion zu Fragen der betrieblichen und gesellschaftlichen Partizipation
• Assistent an den theologischen Fakultäten in Mainz und Bochum
• Seit 1975 Professor für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen
• Forschungsaufenthalte in Afrika (Sudan, Zimbabwe, Namibia, Botswana, Senegal, Südafrikanische Republik) und Osteuropa (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Estland, Lettland, Litauen)
• Am 7.2.2018 zum Ehrensenator der Justus-Liebig-Universität Gießen ernannt
Mitgliedschaften
• Gastprofessor am IFF Wien der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (bis 2018)
• Doktoratsbeirat beim Doktorandenkolleg des IFF, Wien (bis 2018)
• Aktion Demenz e.V. – Gemeinsam für ein besseres Leben mit Demenz. Vorsitzender des Vorstands, Giessen
• Pallium – Forschung und Hilfe für soziale Projekte e.V., Vorsitzender des Vorstands, Gießen
• Mitglied im Stiftungsrat der Deutschen Hospiz- und Palliativstiftung, Berlin
• Mitglied im Vorstand der Stiftung Con Vivial, Wiesbaden
• Mitglied im Beirat der Stiftung DiaDem des Diakonischen Werkes in Hessen
• Mitglied im Herausgeberbeirat der Hospiz Zeitschrift
• Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des DHPV (Deutscher Hospiz- und Palliativverband)
• Mitherausgeber der Zeitschrift Demenz
• Mitherausgeber der Zeitschrift Palliative Praxis
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7 Kommentare
Ja, mögen uns die Kräfte zuwachsen und möge die Liebe die Kraft wecken.
Wunderbar, einem so erfahrenen Menschen zuzuhören.
Herzlichen Dank für das interessante Interview.
Es hat mir sehr gefallen – auch die schöne „Randbemerkung“, dass Herr Dr. Gronemeyer – wie auch ich – auf der Halbinsel Nordstrand lebte.
Finde es großartig, eine andere Sichtweise auf die Krankheit Demenz zu hören. Es bestätigt meine Meinung, dass die Seele des Menschen einfach nicht berücksichtigt wird. Meditation und Demenz als Forschung zu betreiben, wäre für mich spannend, wird aber in unserer westlichen Welt als „Spinner“ abgetan.
Ich glaube daran, dass die Menschen mit Demenz uns zeigen, dass wir auf der falschen Spur laufen – vielen herzlichen Dank für dieses Interview, das ein Spiegel unserer Gesellschaft hervorragend dargestellt hat. DANKE!
Gefühlsmäßig ist mir der Zugang zur Demenz zu eindimensional (Satt,sauber,sicher).
Ich habe in der Pflege die Erfahrung machen können, wie Martin Buber sagt: Ich erkenne mich in Dir.
Wir können von den Gefühlsaktiven viel lernen und uns verändern.
Es ist großartig bei diesem Interview in die Mehrdimensionalität des Menschen einzutauchen.
Demenz ist vielleicht eine Form der Absage an die Gesellschaft…..
Kann man vielleicht so sehen, wie auch Depression. Gerade deshalb finde ich es so schlimm, dass viele Menschen und besonders medizinisches Personal dazu neigt, es als persönlichen Angriff zu verstehen. Das kann in der Palliativ Medizin soweit gehen , dass ein Oberarzt „seinen Patienten“ nicht an die Palliativ Station überweisen will, obwohl die Angehörigen sich dies wünschen.
Ich bin sehr berührt von Ihren Worten, Herr Gronemeyer. Vielen, vielen Dank. Als noch recht junger Mensch bedaure ich den Jugendwahn unserer Gesellschaft, der uns die Älteren nimmt als das, was sie eigentlich sind: ein wichtiger Bestandteil einer gesunden Gesellschaft. Wir nehmen uns dadurch das Dach und die weise Bodenhaftung und den Älteren ihre Daseinsberechtigung. Ich freue mich auf den Wandel, der sich abzeichnet, und dass Sie durch ihre Worte mit dazu beitragen, dass andere Visionen entstehen. Herzlichen Dank, dass Sie verrückt genug sind, weiter so aktiv zu sein. Und herzlichen Dank an dich, Michael, für dieses wunderbare Interview und deine klugen Fragen.
Herzliche Grüße,
Ruth Echle
Ich fand den Beitrag sehr interessant und informativ. Doch so sehr ich vielen Ausführungen von Reimer Gronemeyer zustimmen mag und die Empathie wahrnehme und wertschätze, die sich in seinem Engagement spiegelt, so sehr scheint mir sein Blick ein bisschen der eines „Außenstehenden“ geblieben zu sein, der Demenz „ganz schrecklich“ findet und niemals selbst davon betroffen sein möchte? Das kann ich gut akzeptieren, weil es für ihn so gelten mag. Er will die Kontrolle behalten – um jeden Preis, so scheint es. Um so überraschender finde ich, dass er bei dem Gerichtsurteil zum selbstbestimmten Sterben „die Seiten wechselt“. Hier ist er nicht mehr beim selbstbestimmten Individuum, sondern argumentiert damit, wie „schlimm“ das doch alles für „die armen Angehörigen“ sei. Stimmt. Aber ich bin der Meinung, dass sie als Mit-Betroffene in erster Linie FÜR SICH verantwortlich sind und Sorge tragen müssen. Der Umgang mit der Erkrankung eines geliebten Menschen ist ihr Thema – nicht, dem betroffenen Menschen zu sagen oder vorzuschreiben, welche Entscheidungen dieser für sein weiteres Leben treffen soll oder zu treffen hat. Nur wer selbst gut für sich selbst sorgen kann, kann auch für andere eine Unterstützung sein? Oder anders: Wenn jedes Individuum selbt für sich entscheiden und sorgen gelernt hat, sind eigentlich alle versorgt? Es erstaunt mich, dass das noch immer sehr oft ausgeblendet, nicht wirklich verstanden oder begriffen zu werden scheint. Das Beispiel mit dem Einzelfall einer Niederländerin war schlimm. Mir zeigt der Fall jedoch auf, wie falsch der Blick auf die Diagnose von „normal gesunden“ Menschen auf Demenz ist und eine solche Diagnose nicht automatisch als Begründung für einen ggf. gewünschten Suizid angeboten werden darf? Ich denke, dass solche Wünsche anzuerkennen und anzunehmen sind, aber auch überprüft werden müssen – mit dem betroffenen Menschen zusammen. Diese Rahmenbedingungen zu schaffen, darum geht es nach dem BGH-Urteil.
Ganz in diesem Sinne bin ich der Meinung, dass „eine wärmende Gesellschaft“ nicht auf eine Gesellschaft „draufgesetzt“, ihr übergestülpt werden kann. Man kann Rahemnbedingungen schaffen, in denen sich ein solches Klima besonders gut eintwickeln und entfalten kann. Dann muss man auch keine Angst vor Entwicklungen aus China haben, die Windeln mit 40 l Fassungsvolumen anbieten? Eine „wärmende Gesellschaft“ entwicklt sich über die Individuen. Begleiten wir die Individuen in unserer Gesellschaft gut – was derzeit nicht geschieht – bekommen wir eine „wärmende Gesellschaft“ als Ergebnis.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre m.E ein Instrument, Menschen in unserer Gesellschaft besser in ihren sich wandelnden Lebensumständen zu begleiten und ihnen Gestaltungsraum zu eröffnen, … anstatt sie in die jeweiligen, sich ggf. überschneidenden Systeme zu pressen und zu Verwaltungsgegenständen zu machen.